Personen
Zeitgenossen der Märtyrer
Geschichte vollzieht sich durch Menschen, sie ist an den Biografien der Beteiligten greifbarer und unmittelbarer. Einige der Zeitgenossen der Lübecker Märtyrer – Freunde, Weggefährten, Gegner und Ankläger – sind hier vorgestellt.
Walther Böttcher (1901–1983)
Der promovierte Rechtsanwalt war als Zweitverteidiger im Prozess eingesetzt. Er bemühte sich vergeblich, die Geistlichen zu entlasten und berichtet, er habe niemals einen so unwürdigen Prozess erlebt: „Die ganze Verhandlung verlief auch in den äußeren Formen so würdelos und in einer Atmosphäre, die uns Verteidiger immer mehr zu der Überzeugung brachte: Was soll hier noch verhandelt werden? Die Todesurteile stehen ja schon fest.“ Nach dem Krieg war Böttcher Bürgermeister von Lübeck und Landtagspräsident.
Stephan Hubertus Pfürtner (1922–2012)
Als junger Soldat nahm Pfürtner an den Gesprächsabenden mit Kaplan Prassek teil. Aus seiner Abneigung gegen die Nationalsozialisten machte er keinen Hehl, und so wurde er verhaftet. Einen Tag nach den vier Geistlichen wurde er zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt, die mit der Untersuchungshaft als abgebüßt galt. 1944 verhalf er drei jüdischen Frauen zur Flucht aus dem KZ, alle überlebten. Nach dem Krieg trat er dem Dominikanerorden bei und lehrte in der Schweiz als Moraltheologe. 2006 wurde er als Gerechter unter den Völkern geehrt, weil er den Jüdinnen zur Flucht verhalf. Bis zu seinem Tod lebte er mit seiner Familie in Marburg.
Adolf Ehrtmann (1897–1979)
Der Katholik Adolf Ehrtmann war Zentrumsmitglied und Geschäftsführer (Rendant) der Katholischen Pfarrei in Lübeck. Er hatte engen Kontakt zu den Kaplänen. Nach seiner Verhaftung im Juli 1942 sitzt er in den Zuchthäusern Rendsburg und Brandenburg ein. Im Prozess wird er am 24. Juni 1943 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ende April 1945 wird er von sowjetischen Soldaten befreit. Nach dem Krieg nimmt Ehrtmann seine politische T&¨tigkeit wieder auf und begründet die Lübecker CDU mit. Er wird 1946 Lübecker Bausenator und leitet den Wiederaufbau der zerstörten Stadt. In seiner Pfarrgemeinde Herz Jesu setzt er sich für die Umgestaltung der Krypta zu einer Gedenkstätte ein. Auf die gemeinsame Ehrung Pastor Stellbrinks mit den Kaplänen legte er stets großen Wert. Als er auf dem Sterbebett getröstet wird, er werde nun bald bei seinen drei Geistlichen sein, entgegnet er: „Sag niemals drei, sag immer vier!“
Hildegard Stellbrink (1895–1970)
1921 heiratete Karl Friedrich Stellbrink seine Jugendliebe Hildegard Dieckmeyer in Detmold. Kaum sieben Wochen später legte das Schiff in Hamburg ab, das das junge Paar nach Brasilien brachte, wo Stellbrink eine Stelle als Auslandspastor antrat. Seine Frau gebar vier Mädchen dort, nach acht Jahren Auslandsaufenthalt kehrte die Familie zurück nach Deutschland. Stellbrinks nahmen noch zwei Neffen auf und kamen nach einigen Jahren in Thüringen schließlich in Lübeck. Nach der Verurteilung ihres Mannes schickte Hildegard Stellbrink ein Gnadengesuch an Hitler und versuchte in ihrer Verzweiflung, ihren Mann als treuen deutschen Familienvater zu retten. Sie erhielt keine Antwort, aber nach der Hinrichtung ihres Mannes eine Rechnung des Oberreichsanwalts über Gerichts-, Haft- und Vollstreckungskosten von 1500,70 RM.
Bernhard Behnen (1880–1956)
Pfarrer Behnen war ab 1928 katholischer Gefängnisseelsorger in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt am Holstenglacis. Er besuchte die Gefangenen in ihren Zellen und spendete ihnen die Sakramente. Vor der Hinrichtung sprach er den Todeszellen ein letztes Gebet mit den Kaplänen, dann ging er mit den Verurteilten zum Hinrichtungsraum. Den Weg zur Hinrichtung durfte offiziell seit 1942 kein Pfarrer begleiten.
Wilhelm Berning (1877–1955)
Seit 1914 war Berning Bischof von Osnabrück, er wurde 1933 von Hermann Göring zum Preußischen Staatsrat ernannt. Berning verband damit die Hoffnung, so die Freiheit der Kirche positiv beeinflussen zu können. Während er in den Folgejahren in Predigten und Reden zunehmend in Opposition zur nationalsozialistischen Herrschaft ging, verhandelte er in Rechtsangelegenheiten weiter mit der Reichsregierung, um Unrecht abzuwenden. Er besuchte die Kapläne im Gefängnis und stellte ein Gnadengesuch, das abgelehnt wurde. Das Bistum Osnabrück übernahm auf seine Weisung hin sämtliche Verfahrenskosten, auch die der Prozesse gegen die Laien.
Clemens August Graf von Galen (1878–1946)
1933 zum Bischof von Münster gewählt, wurde er durch seine Aktionen und Predigten gegen das Neuheidentum der Nazis, die Rassenideologie und die Tötungen Behinderter und Erbkranker berühmt. „Nec laudibus, nec timore – Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht“ war sein Wahlspruch. Die Münsterländer standen hinter ihm und nannten ihn den „Löwen von Münster“. Seine Predigten wurden durch Abschriften und Flugblätter in ganz Deutschland bekannt und gelangten auch zu den Lübecker Märtyrern. Ein Todesurteil für von Galen wurde in der NSDAP erwogen, aber von Joseph Goebbels auf die Zeit „nach dem Endsieg“ verschoben, man befürchtete einen Aufstand im katholischen Münsterland. Von Galen wusste von der Inhaftierung; wie er vom Tod der Lübecker Märtyrer erfahren hat und ob er diesen kommentierte, ist noch zu erforschen.
Erwin Balzer (1901–1975)
Der evangelische Pfarrer stammte aus Berlin. Nach dem Theologiestudium war er Pfarrer auf Helgoland und in Altona. 1931 trat er in die NSDAP ein und wurde 1934 mit nur 33 Jahren Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche im L&¨beckischen Staate. Seine Einstellung skizzierte er so: „Meine theologische Stellung ergibt sich aus der nationalsozialistischen Weltanschauung.“ Er trachtete danach, Pfarrer mit nationalsozialistischer Gesinnung nach Lübeck zu berufen, was innerhalb von kurzer Zeit auch gelang. Er sah sich 1943 außerstande, ein Gnadengesuch für Pastor Stellbrink zu stellen. Sein Amt hatte er bis 1945 inne. Nach dem Krieg wurde er entlassen, erhielt 1955 seine Pensionsansprüche zurück und starb 1975 in Hamburg.
Albert Bültel (1889–1954)
Dechant in Lübeck und als Pfarrer von Herz Jesu Vorgesetzter der drei Kapläne. Er hatte ein gutes Verhältnis zu ihnen, aber hat die ganze Tragweite des Handelns der Märtyrer wohl erst spät begriffen. Bültel hatte von vielen Vorgängen gar keine Kenntnis. Er war zutiefst bestürzt, als es zur Verhaftung und zur Verurteilung der Geistlichen kam. Der Dechant stand in regelmäßigem Informationsaustausch mit Bischof Berning. Von den ganzen Ereignissen hat er sich seelisch nie mehr erholt.
Maria Meures (1890–1962)
Fräulein Meures aus Hagen in Westfalen wirkte seit 1915 als Lehrerin in Neumünster an der katholischen Schule, zunächst als Kriegsaushilfe, und war darüberhinaus auch in der dortigen Pfarrgemeinde sehr aktiv. Sie war eine sehr herzliche und beliebte Frau. Vielen Schülern hat sie Nachhilfe gegeben und auch das Studium finanziert, unter anderem Eduard Müller. Nach ihrer Pensionierung 1949 gab sie Kurse zur Erlangung der Missio Canonica und fertigte Paramente.
Papst Pius XII. (1876–1958)
Der Berliner Bischof Graf von Preysing erfuhr über geheime Kontakte aus dem Reichsjustizministerium, dass die Gnadengesuche Bischof Bernings abgelehnt werden. Er informierte Papst Pius XII. am 3. November 1943 darüber, der prompt intervenierte. Ein Telegramm ging vom Kardinalstaatssekretär aus Rom zum Päpstlichen Nuntius in Berlin mit der der Abweisung, sich für die Aufhebung der Todesstrafe einzusetzen. Als der Nuntius aber im Auswärtigen Amt vorsprach, war die Hinrichtung bereits vollzogen.
Hans Lüers (1909–1992)
Der junge Soldat Lüers aus Oldenburg, als Luftwaffenobergefreiter in Lübeck eingesetzt, nahm an Gesprächsabenden im katholischen Pfarrhaus teil und gab vor, konvertieren zu wollen. In Wahrheit hatte ihn die Gestapo als Spitzel angeheuert. Er beteiligte sich an den Diskussionen in Prasseks Soldatengruppe und verließ das Zimmer von Zeit zu Zeit. Dann notierte sich viele der Gespräche schriftlich: Witze über Nazi-Größen ebenso wie Mutmaßungen darüber, wie mit schwerverwundeten Soldaten umgegangen wird. Seine Unterlagen fanden Eingang in die Prozessakten. 1943 denunzierte Lüers in Innsbruck zwei Jesuitenpatres auf dieselbe Weise: Alois Grimm und Johannes Steinmayr. Beide wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nach dem Krieg wanderte Lüers nach England aus. Er stirbt 1992, und seine Familie erfährt erst zwanzig Jahre nach seinem Tod durch Recherchen im Rahmen der Seligsprechung von seiner Vergangenheit.
Alexander John (1886–1945)
Kriminalrat und SS-Sturmbannführer John leitete seit 1941 das Grenzpolizeikommissariat der Geheimen Staatspolizei im Lübecker Zeughaus. Mit dem neuen Fall wollte er sich besondere Sporen verdienen. Er beeinflusste Zeugen und verdrehte ihre Worte in die gewünschte Richtung. Kaplan Prassek warnte in einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Brief Pfarrhaushälterin Johanna Rechtin: „Nehmt Euch vor Kriminalrat John in acht! Der Mann ist ganz fies und hinterlistig.“ 1942 bekam John für seine Arbeit das „Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern“ verliehen. Am 5. Mai 1945 beging er zusammen mit dem ehemaligen Lübecker Oberbürgermeister Otto-Heinrich Drechsler in Mölln Selbstmord.
Ernst Lautz (1887–1977)
Lautz unterschrieb als Oberreichsanwalt die Anklageschrift gegen die drei katholischen Geistlichen und die mitverhafteten Laien. Das Gnadengesuch für Pastor Stellbrink empfahl er abzulehnen: „Ich halte vielmehr die Todesstrafe für die allein schuldangemessene, überdies auch zur Abschreckung Anderer gebotene Sühne und schlage deshalb vor, von dem Gnadenrecht keinen Gebrauch zu machen.“ In den Nürnberger Prozessen wurde Lautz zu zehn Jahren Haft verurteilt, aber 1951 begnadigt. Er zog nach Lübeck und erhielt monatlich eine staatliche Rente in Höhe von 1300 DM. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelte gegen ihn unter anderem wegen Beihilfe zum Totschlag, ein Verfahren kam aber nicht zustande. Noch 1957 stand Lautz im Lübecker Telefonbuch als „ObReichsAnw a D“ verzeichnet, bis ihm gerichtlich untersagt wurde, den Titel Oberreichsanwalt a. D. zu führen. Er starb 1977, seine Urne wurde auf dem Burgtorfriedhof in Lübeck beigesetzt.
Otto Thierack (1889–1946)
Thierack trat schon 1932 in die NSPAP ein und machte eine steile Karriere: 1933 sächsischer Justizminister, 1936 Präsident des Volksgerichtshofes, 1942 Reichsminister der Justiz. Bald nach Amtsantritt k&¨rzte er das Verfahren für Gnadengesuche ab. Er lehnte die Gnadengesuche für die Lübecker Märtyrer verbindlich ab. Nach der Festnahme durch die Allierten wurde er interniert. Bevor er in den Nürnberger Juristenprozessen angeklagt werden konnte, vergiftete sich im Oktober 1946 im Internierungslager Eselsheide.
Wilhelm Crohne (1880–1945)
In Berlin geboren wird Wilhelm Crohne mit 30 Jahren Gerichtsassessor und ein Jahr später, 1911, Richter in der deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Schnell merkt die Kolonialverwaltung, dass Crohne für den Dienst ungeeignet ist, weil er sich „nicht in die Abschauungen und Denkweisen“ der einheimischen Bevölkerung hineinversetzen kann, und beruft ihn ab. Nach dem Wehrdienst im Ersten Weltkrieg macht er Karriere als Richter. Carl von Ossietky schreibt 1927 über Richter Crohne: „Er macht durch sein Dazwischenreden unsere Vernehmung unmöglich, er handhabt die richterliche Superiorität wie einen Gummiknüppel, der ständig dem, der außer ihm noch zu reden wagt, über den Mund fährt.“ 1932 tritt Crohne in die NSDAP ein, leitet ab 1935 die Abteilung Strafrechtspflege im Justizministerium (dort werden die Urteile der Sondergerichte überpüft) und wird 1942 Vizepräsident des Volksgerichtshofes. Im Prozess gegen die Geistlichen hatte Senatspräsident Crohne den Vorsitz inne. Er sichert Bischof Berning noch einen Tag vor dem Prozessbeginn zu, dass ein Todesurteil für die Geistlichen nicht zu befürchten sei. Als Stellvertreter Freislers beschimpfte er wie dieser die Angeklagten auf das Übelste. Crohne nahm sich kurz vor Kriegsende in seiner Berliner Wohnung gemeinsam mit seiner Familie das Leben.
Friedrich Hehr (1879–1952)
Der Scharfrichter Friedrich Hehr aus Hannover war mit der Durchführung der Hinrichtungen in den Gefängnissen Hamburg-Stadt, Wolfenbüttel und Dreibergen-Bützow betraut. Das Untersuchungsgefängnis Hamburg-Stadt war ab 1935 „zentrale Hinrichtungsstätte“ in seinem „Vollstreckungsbezirk V“. Die Urteile der „Vollstreckungsbehörden in den Oberlandesgerichtsbezirken Hamburg und Kiel und in den Landgerichtsbezirken Lüneburg, Schwerin und Stade“ wurden alle in Hamburg vollstreckt. Dort wurde 1938 ein neues Fallbeilgerät aufgestellt. Für die Hinrichtungen kam Hehr aus Hannover nach Hamburg gereist. Die Vollstreckungen fanden seit 1942 am Abend um 18 Uhr statt, später bat Hehr darum, die Zeit vorzuverlegen, damit er seinen Zug zurück nach Hannover pünktlich erreichte. Von 1938 bis 1945 vollsteckte er hunderte von Urteilen. Er erhielt 3000,— RM Grundeinkommen jährlich zuzüglich 65 RM pro Hinrichtung, bei Hehr im Jahr 1943 4320,— RM alleine für die in Hamburg vollstreckten Urteile. Er gehörte damit zu den Spitzenverdienern. Nach dem Krieg arbeitete Hehr bis 1949 als Henker für die Alliierten, vollstreckte weitere 85 Todeurteile und starb 1952 in Hannover.
Texte: Sebastian Fiebig