Einführung
Die vier Lübecker Märtyrer
Am 10. November 1943 wurden vier Lübecker Geistliche, der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink und die katholischen Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek im Hamburger Gefängnis am Holstenglacis mit dem Fallbeil hingerichtet. Der nationalsozialistische Volksgerichtshof hatte sie im Sommer 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung, Heimtücke, Feindbegünstigung und Abhören von Feindsendern“ zum Tode verurteilt.
„Gleichschaltung“ war ein zentrales Herrschaftsinstrument des nationalsozialistischen Regimes; Schweigen, Gehorsam, Sicheinfügen seine kategorischen Forderungen. Die vier Lübecker Geistlichen widersetzten sich diesem Allmachtsanspruch. Sie erkannten immer klarer den unauflösbaren Widerspruch zwischen dem christlichen Glauben und der rassistischen, atheistischen Ideologie der Nationalsozialisten. Dieser Widerspruch ließ sie nicht mehr schweigen. Sie haben sich nicht herausgehalten und sich ein eigenes Urteil nicht verbieten lassen. Je länger das Unrecht währte, desto verpflichtender wurde für sie das Gebot, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, die mit Terror regierten und einen Vernichtungskrieg begonnen hatten.
Die Vier zeichnet aus, dass sie angesichts der Willkür der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die trennenden Grenzen der Konfessionen überwanden und zu gemeinsamem Urteil wie zu gemeinsamem Handeln fanden.
Sie hatten ein Vorbild: den Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen. Die Lübecker schrieben die mutigen Predigten des Bischofs ab und verbreiteten sie. Sie empfanden wie viele andere das Befreiende dieser Predigten, die das Schweigen brachen und laut aussprachen, was viele insgeheim dachten, als die Aktion zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ anlief, die Ermordung von unschuldigen Geisteskranken.
Die Lübecker Geistlichen haben ihr Widerstehen mit dem Leben bezahlt. Dieses Lebensopfer hat den Krieg nicht abgekürzt und das System nicht ins Wanken gebracht. Aber die Lübecker sind Zeugen einer anderen, einer besseren Welt in einer Welt des Unheils. Sie sind Zeugen der Wahrheit gegen die Lüge, Zeugen der Menschenwürde gegen die Menschenverachtung, Zeugen des Glaubens in einer Zeit, in der Menschen selbstherrlich den Thron Gottes beanspruchen.
In diesem mit ihrem Tod besiegelten Zeugnis sind die Lübecker als Märtyrer untereinander verbunden und für uns heute Vorbild, von dem erneuernde Kraft ausgeht. Sie stehen gemeinsam für die Kirche Jesu Christi, die Unrecht beim Namen nennt, Lüge entschleiert und die Barmherzigkeit Gottes als Quelle des Lebens ehrt.
Zusammen sind sie gestorben. Sie wussten sich vor Gott ungetrennt. Von Hermann Lange wird der Ausspruch „wir sind wie Brüder“ überliefert. Als Realität haben sie eine Gemeinschaft erfahren, die Trennendes überwindet. Konfessionelle Grenzen waren für sie sekundär geworden. Das muss für uns heute Orientierung und Ansporn sein, dass wir dem folgen, was sie uns vorgelebt haben an Gemeinschaft im Geist, im Glauben und im Handeln. —
Im Schicksal der vier Lübecker Geistlichen vollzog sich exemplarisch der Konflikt zwischen nationalsozialistischer Weltanschauung und christlichem Glauben. Die Vier sind diesem Konflikt nicht ausgewichen, als sie gemeinsam ihren Glauben an Christus bezeugten und sich von ihm zu einem gemeinsamen Handeln rufen ließen.
„Sag niemals drei, sag immer vier!“, darauf bestand der ehemalige Mitgefangene Adolf Ehrtmann, als er im Frühjahr 1979 im Sterben lag. Eines seiner Kinder hatte ihn damit stärken wollen, er werde bald nun zu „seinen“ drei Kaplänen kommen. Dieses Leitwort und Vermächtnis des damals zu fünf Jahren Zuchthaus Verurteilten muss für die Nachwelt verpflichtend sein.
„Sag niemals drei, sag immer vier!“ ist auch das gemeinsame Vermächtnis der Lübecker Märtyrer. Ihr Todestag, der 10. November, ist für die beiden großen Konfessionen in Deutschland ein sie verbindendes Datum. Ein "datum" ist das Gegebene, das uns Aufgegebene. Das gemeinsame Lebensopfer von Hermann Lange, Eduard Müller, Johannes Prassek und Karl Friedrich Stellbrink gibt uns auf, danach zu streben, auch gemeinsam des Opfertodes unseres Herrn Jesus Christus zu gedenken, seine Auferstehung gemeinsam zu verkünden und gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwürde einzustehen.
Texterarbeitung: Ökumenischer Arbeitskreis „Lübecker Märtyrer“