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Gedenkstätte Lübeck: Tafel 1

Lübeck 1933–1938 / Nazidiktatur und Kirchenkampf

Am 10. November 1943 werden in einem Hamburger Gefängnis vier Geistliche mit dem Fallbeil hingerichtet. Die drei katholischen Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek haben in Lübeck in der Pfarrei Herz Jesu und der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink in der Lutherkirche gewirkt, bevor sie 1942 verhaftet und 1943 vom Volksgerichtshof in einem Prozess in Lübeck zum Tode verurteilt werden.

Wer sind diese vier Männer, die 1934 bzw. 1939/40 nach Lübeck gekommen sind? Warum geraten sie in Konflikt mit der nationalsozialistischen Diktatur und werden schließlich ermordet? Und warum werden sie als Gruppe der vier Lübecker Märtyrer seit 1943 verehrt und die drei katholischen Kapläne 2011 selig gesprochen?

Vorgeschichte: Vom Kaiserreich zum Nationalsozialismus

Geboren werden die vier Männer im Deutschen Kaiserreich, in einer Zeit, die wesentlich von Nationalismus, Militarismus und Antisemitismus geprägt ist. In Deutschland kommt es 1918 nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg zu einer Revolution, in deren Verlauf eine Demokratie entsteht: Die Weimarer Republik. Sie steht jedoch von Anfang an unter starkem Druck und wird von so gegensätzlichen Kräften wie Kommunisten oder Anhängern des Kaiserreichs bekämpft. Die deutsche Bevölkerung leidet große Not in Folge der dramatischen Geldentwertung von 1923. Dieses und andere Probleme werden der jungen Demokratie angelastet, obwohl sie vom Kaiserreich zu verantworten sind. Das Vertrauen in die neue Staatsform schwindet. Viele Menschen bleiben von Unterordnung und Autoritätsglauben bestimmt. Eine demokratische Mentalität in der Mehrheit der Bevölkerung bildet sich deshalb nicht heran.

Ab 1930 gelingt es der rechtsextremistischen Partei der Nationalsozialisten, nicht zuletzt wegen der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, die Unzufriedenheit der Menschen zu nutzen und immer mehr Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, die Diktatur der Nationalsozialisten bahnt sich an.

Lübeck 1933–1938

Wie in ganz Schleswig Holstein beherrschen auch in Lübeck Hakenkreuzfahnen und Uniformierte das Bild der Stadt. Die aggressive Ideologie des neuen Systems zeigt sich u. a. im Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 und in der Bücherverbrennung so genannter „undeutscher“ Literatur auf dem Buniamshof am 26. Mai 1933. Der Leiter des Lübecker St. Annen-Museums, Carl Georg Heise, wird entlassen, weil die von ihm besonders geförderte Kunst des Expressionismus als „entartet“ eingestuft wird.

Politische Gegner der Nationalsozialisten wie der SPD-Abgeordnete Julius Leber werden verfolgt. Die katholische Gemeinde Herz Jesu feiert 1933 zwar ihre erste Fronleichnamsprozession seit langer Zeit, erlebt aber als Minderheit auch die immer stärkere Einmischung der Diktatur: Die katholischen Schulen werden zwangsweise geschlossen.

Der neu eingesetzte, strikt nationalsozialistische, evangelische Bischof Erwin Balzer holt ab 1933 viele systemtreue Pfarrer nach Lübeck. Auch die Lutherkirche bekommt 1934 einen neuen Pastor, Karl Friedrich Stellbrink, der mit deutlich nationalistischen, antisemitischen und antikatholischen Einstellungen auftritt. Ab ca. 1936 setzt dann aber eine innere Wandlung bei ihm ein, die ihn in Gegensatz zur Diktatur bringt. Daraufhin wird er aus der Partei ausgeschlossen und gerät auch innerhalb der evangelischen Kirche Lübecks in eine isolierte Position.

Der von Anfang an geplante Angriffskrieg des NS-Staates spiegelt sich auch in Lübeck im Aufbau einer umfangreichen Rüstungsindustrie wider. In mehreren Fabriken werden hier Waffen und Munition hergestellt.

Nazidiktatur und Kirchenkampf

Nach dem 30. Januar 1933 beseitigen die Nationalsozialisten innerhalb nur weniger Monate zielstrebig alle demokratischen Strukturen in Deutschland. Der totalitäre Charakter der Diktatur zeigt sich vor allem in dem Bestreben, das Leben jedes Einzelnen bis ins Privateste hinein zu kontrollieren.

Die Nationalsozialisten verfolgen langfristig das Ziel, die christlichen Kirchen als öffentliche Institutionen völlig zu beseitigen. Die evangelische Kirche lässt sich 1933 weitgehend gleichschalten. Hier entwickelt sich ein Konflikt, aus dem seit 1934 die „Bekennende Kirche“ hervorgeht, die sich gegen die Vereinnahmung der Religion durch den Staat zur Wehr setzt.

Die katholische Kirche insgesamt hat sich vor 1933 von den Ideen des Nationalsozialismus abgegrenzt und Teile des Parteiprogramms als „Irrlehren“ verurteilt. Trotzdem schließen die päpstliche Kurie und der NS-Staat im Juli 1933 ein Konkordat, um mit diesem Vertrag einen offenen Konflikt zu vermeiden. Obwohl darin die Selbstständigkeit kirchlicher Einrichtungen garantiert wird, schränkt der NS-Staat die Existenz katholischer Schulen und Vereine und kirchliche Zeitungen in der Folge immer mehr ein. Durch so genannte „Sittlichkeitsprozesse“ gegen Geistliche versuchen die Nationalsozialisten außerdem, Kirchenvolk und Klerus zu spalten. Mit der Enzyklika „Ardente cura“ (Mit brennender Sorge) von 1937 greift Papst Pius XI. diese Politik öffentlich an, ohne allerdings dadurch eine Änderung zu bewirken.

 

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