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Predigt in der Lambertikirche in Münster

Clemens August Graf von Galen am 13. Juli 1941

Meine lieben Katholiken von Sankt Lamberti!

Es war mir ein Bedürfnis, heute von der Kanzel der Stadt- und Marktkirche aus persönlich mein bischöfliches Hirtenwort zu den Ereignissen der vergangenen Woche zu verlesen, und besonders euch, meinen früheren Pfarrkindern, meine innige Teilnahme auszusprechen. Gerade in einigen Bezirken der Lambertigemeinde, freilich auch an anderen Stellen der Stadt, sind ja die Verwüstungen und Verluste besonders groß. Ich hoffe, daß durch das Eingreifen der zuständigen städtischen und staatlichen Stellen, besonders aber auch durch eure Bruderliebe und die Erträgnisse der heutigen Kollekte für die Hilfsaktion des Caritasverbandes und der Pfarrcaritas, ein Teil der Not behoben wird.

Ich hatte mir vorgenommen, noch ein kurzes Wort hinzuzufügen über den Sinn der Göttlichen Heimsuchung: wie Gott uns darin sucht, um uns zu sich heimzuholen! Gott will Münster zu sich heimholen! Wie waren unsere Vorfahren bei Gott, in Gottes heiliger Kirche heimisch! Wie war ihr Leben so ganz getragen vom Glauben an Gott, geführt von der heiligen Furcht Gottes und von der Liebe Gottes; das öffentliche Leben wie das Familienleben und auch das Geschäftsleben. War es in unseren Tagen noch immer so? Gott will Münster zu sich heimholen!

Darüber wollte ich heute noch einige Gedanken euch aussprechen. Aber ich muß für heute darauf verzichten, denn ich sehe mich genötigt, etwas anderes heute hier öffentlich zur Sprache zu bringen: ein erschütterndes Ereignis, das gestern, zum Abschluß dieser Schreckenswoche über uns gekommen ist.

Noch steht ganz Münster unter dem Eindruck der furchtbaren Verwüstungen, die der äußere Feind und Kriegsgegner in dieser Woche uns zugefügt hat. Da hat gestern, zum Schluß dieser Woche, gestern, am 12. Juli, die Geheime Staatspolizei die beiden Niederlassungen der Gesellschaft Jesu, des Jesuitenordens, in unserer Stadt, Haus Sentmaring an der Weseler Straße und das Ignatius-Haus an der Königsstraße beschlagnahmt, die Bewohner aus ihrem Eigentum vertrieben, die Patres und Brüder genötigt, unverzüglich, noch am gestrigen Tage, nicht nur ihre Häuser, nicht nur unsere Stadt, sondern auch die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz zu verlassen. Und das gleiche harte Los hat man ebenfalls gestern den Missionsschwestern von der Unbefleckten Empfängnis in Wilkinghege, an der Steinfurter Straße, bereitet. Auch ihr Haus wurde beschlagnahmt, die Schwestern sind aus Westfalen ausgewiesen und müssen Münster bis heute abend 6 Uhr verlassen. Die Ordenshäuser und Besitzungen sind samt Inventar zu Gunsten der Gauleitung Westfalen-Nord enteignet.

So ist also der Klostersturm, der schon länger in der Ostmark, in Süddeutschland, in den neu erworbenen Gebieten Warthegau, Luxemburg, Lothringen und anderen Reichsteilen wütete, auch hier in Westfalen ausgebrochen. Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß in den nächsten Tagen solche Schreckensnachrichten sich häufen: wenn auch hier ein Kloster nach dem anderen von der Gestapo beschlagnahmt wird, und seine Bewohner, unsere Brüder und Schwestern, Kinder unserer Familien, treue deutsche Volksgenossen, wie rechtlose Heloten auf die Straße geworfen, wie Schädlinge aus dem Lande gehetzt werden.

Und das in diesem Augenblick, wo alles zittert und bebt vor neuen Nachtangriffen, die uns alle töten, einen jeden von uns zu einem heimatlosen Flüchtling machen können! Da jagt man schuldlose, ja hochverdiente, von Unzähligen hochgeachtete Männer und Frauen aus ihrem bescheidenen Besitz, macht man deutsche Volksgenossen, unsere münsterischen Mitbürger zu heimatlosen Flüchtlingen.

Weshalb? Man sagte mir: „Aus staatspolizeilichen Gründen!“ Weitere Gründe wurden nicht angegeben. Kein Bewohner dieser Klöster ist eines Vergehens oder Verbrechens beschuldigt, vor Gericht angeklagt oder gar verurteilt! Und wäre einer schuldig, so mag man ihn vor ein Gericht stellen! Aber darf man dann auch die Schuldlosen strafen?

Ich frage euch, vor deren Augen die Patres der Jesuiten, die Immakulata-Schwestern seit Jahren ihr stilles, nur der Ehre Gottes und dem Heil der Mitmenschen geweihtes Leben geführt haben, ich frage euch: „Wer hält diese Männer und Frauen eines strafwürdigen Vergehens schuldig? Wer wagt es, gegen sie eine Anklage zu erheben?“ Wer es wagt, der mag seine Anklage beweisen! Nicht einmal die Gestapo hat solche Anklage erhoben, geschweige denn ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft!

Ich bezeuge es hier öffentlich als Bischof, dem die Überwachung der Orden amtlich zusteht, daß ich die größte Hochachtung habe vor den stillen, bescheidenen Missionsschwestern von Wilkinghege, die heute vertrieben werden. Sie sind die Gründung meines hochverehrten bischöflichen Freundes und Landsmannes, des Bischofs P. Amandus Bahlmann, der sie hauptsächlich für die Mission in Brasilien gegründet hat, in der er selbst, hochverdient um das Deutschtum in Brasilien, bis zu seinem vor drei Jahren erfolgten Tode unermüdlich und segensreich gewirkt hat.

Ich bezeuge als deutscher Mann und als Bischof, daß ich vor dem Jesuitenorden, den ich seit meiner frühen Jugend, seit fünfzig Jahren, aus nächster Beobachtung kenne, die größte Hochachtung und Verehrung empfinde, daß ich der Gesellschaft Jesu, meinen Lehrern, Erziehern und Freunden bis zum letzten Atemzug in Liebe und Dankbarkeit verbunden bleiben werde. Und daß ich heute um so größere Verehrung für sie hege, heute, in dem Augenblick, wo an ihnen die Vorhersage Christi an seine jünger wieder in Erfüllung geht: „Wie sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen. Wenn ihr von der Welt wäret, so würde die Welt das Ihrige lieben. Weil ihr nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum haßt euch die Welt.“

So begrüße ich heute von dieser Stelle aus, auch im Namen der treuen Katholiken der Stadt Münster und des Bistums Münster, diese von Christus Erwählten, von der Welt Gehaßten, in inniger Liebe bei ihrem Auszug in die unverdiente Verbannung. Möge Gott sie belohnen für all das Gute, das sie uns getan haben!

Möge Gott nicht uns und unsere Stadt dafür strafen, daß solch ungerechte Behandlung und Verbannung hier seinen treuen Jüngern und Jüngerinnen zugefügt wird! Möge Gottes Allmacht alsbald die teuren Verbannten, unsere Brüder und Schwestern, wieder hierher zurückführen!

Meine lieben Diözesanen! Um der schweren Heimsuchung willen, die durch die feindlichen Angriffe über uns gekommen ist, wollte ich zunächst in der Öffentlichkeit schweigen über andere kürzlich erfolgte Maßnahmen der Gestapo, die meinen öffentlichen Protest geradezu herausfordern. Aber wenn die Gestapo keine Rücksicht nimmt auf jene Ereignisse, durch die Hunderte unserer Mitbürger obdachlos geworden sind, wenn sie gerade in diesem Augenblick fortfährt, schuldlose Mitbürger auf die Straße zu werfen, des Landes zu verweisen, dann darf ich auch nicht mehr zögern, meinen berechtigten Protest und meine ernste Warnung öffentlich auszusprechen.

Schon mehrfach und noch vor kurzer Frist haben wir es erlebt, daß die Gestapo unbescholtene, hochangesehene deutsche Menschen ohne Gerichtsurteil und Verteidigung gefangensetzte, ihrer Freiheit beraubte, aus der Heimat auswies und irgendwo internierte. In den letzten Wochen wurden sogar zwei Mitglieder meines engsten Beirates, des Domkapitels unserer Kathedralkirche, von der Gestapo plötzlich aus ihrer Wohnung geholt, aus Münster abtransportiert, in weitentlegene Orte verbannt, die ihnen als Zwangsaufenthalt angewiesen wurden. Auf meine Proteste beim Reichskirchenminister habe ich in den seitdem vergangenen Wochen eine Antwort überhaupt noch nicht erhalten. Aber so viel konnte durch telefonische Rückfrage bei der Gestapo festgestellt werden: Bei keinem der beiden Herren Domkapitulare liegt der Verdacht oder die Anklage einer strafbaren Handlung vor. Sie sind völlig ohne jede eigene Schuld, ohne Anklage und die Möglichkeit der Verteidigung durch Verbannung bestraft.

Meine Christen! Hört genau zu: Es ist uns amtlich bestätigt, daß den Herren Domkapitularen Vorwerk und Echelmeyer kein Vorwurf einer strafbaren Handlung gemacht wird. Sie haben nichts Strafwürdiges getan! Und dennoch sind sie mit Verbannung gestraft!

Und warum? Weil ich etwas getan habe, das der Staatsregierung nicht genehm war. Bei den vier Besetzungen von Domherrenstellen in den letzten zwei Jahren hat die Regierung in drei Fällen mir mitgeteilt, daß ihr die Ernennung nicht genehm sei. Weil nach den Bestimmungen des Preußischen Konkordates von 1929 ausdrücklich ein Einspruchsrecht der Regierung ausgeschlossen ist, habe ich in zwei von jenen vier Fällen die Ernennung dennoch vollzogen. Ich habe damit kein Unrecht getan, ich habe nur mein verbrieftes Recht ausgeübt. Ich kann das jederzeit beweisen. Man möge mich vor Gericht stellen, wenn man glaubt, daß ich gesetzwidrig gehandelt habe. Ich bin sicher, kein unabhängiges deutsches Gericht wird mich wegen meines Vorgehens bei Besetzung der Domherrenstellen verurteilen können!

Ist es deswegen, daß man nicht ein Gericht, sondern die Gestapo eingesetzt hat, deren Maßnahmen im deutschen Reich einer gerichtlichen Nachprüfung leider nicht unterliegen? - Der physischen Obermacht der Gestapo steht jeder deutsche Staatsbürger völlig schutzlos und wehrlos gegenüber. Völlig wehrlos und schutzlos! Das haben viele deutsche Volksgenossen im Laufe der letzten Jahre an sich erfahren: so unser lieber Religionslehrer Friedrichs, der ohne Verhandlung und Gerichtsurteil gefangengehalten wird, so die beiden Herren Domkapitulare, die in der Verbannung weilen, so erfahren es jetzt unsere Ordensleute, die gestern und heute plötzlich aus ihrem Eigentum, aus Stadt und Land vertrieben werden.

Keiner von uns ist sicher, und mag er sich bewußt sein, der treueste, gewissenhafteste Staatsbürger zu sein, mag er sich völliger Schuldlosigkeit bewußt sein, daß er nicht eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Freiheit beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern der Gestapo eingesperrt wird.

Ich bin mir darüber klar: das kann auch heute, das kann auch eines Tages mir geschehen. Weil ich dann nicht mehr öffentlich sprechen kann, darum will ich heute öffentlich sprechen, will ich öffentlich warnen vor dem Weiterschreiten auf einem Wege, der nach meiner festen Überzeugung Gottes Strafgericht auf die Menschen herabruft und zu Unglück und Verderben für unser Volk und Vaterland führen muß.

Wenn ich gegen diese Maßnahmen und Bestrafungen der Gestapo protestiere, wenn ich öffentlich die Beseitigung dieses Zustandes und die gerichtliche Nachprüfung oder Zurücknahme aller Maßnahmen der Gestapo fordere, dann tue ich nichts anderes, als was auch der Generalgouverneur und Reichsminister Dr. Hans Frank getan hat, der im Februar dieses Jahres in der Zeitschrift der „Akademie für Deutsches Recht“ (1941, 2. Heft, S. 25) geschrieben hat: „Wir wollen jene solide Ausgeglichenheit der inneren Ordnung, die das Strafrecht nicht umkippen läßt in die absolute Autorität staatsanwaltlicher Verfolgungsmacht gegenüber einem von vornherein verurteilten und jeglicher Verteidigungsmittel beraubten Angeklagten ... Das Recht muß dem einzelnen die legale Möglichkeit zur Verteidigung, zur Aufklärung des Tatbestandes und damit zur Sicherung gegen Willkür und Unrecht bieten ... Sonst sprechen wir besser nicht von Strafrecht, sondern nur von Strafgewalt ... Es ist unmöglich, das Rechtsgebäude zugleich mit einer völlig verteidigungslosen Verdammung zu kombinieren ... Unsere Aufgabe ist es – ebenso laut und nachdrücklich wie andere, die Autorität in jeder Form vertreten – zum Ausdruck zu bringen, daß wir die Autorität des Rechts als wesentlichen Bestandteil einer dauernden Macht mutig zu vertreten haben.“ So schrieb Herr Reichsminister Dr. Hans Frank.

Ich bin mir bewußt, daß ich als Bischof, als Verkünder und Verteidiger der von Gott gewollten Rechts- und Sittenordnung, die jedem einzelnen ursprüngliche Rechte und Freiheiten zuspricht, vor denen nach Gottes Willen alle menschlichen Ansprüche haltmachen müssen, berufen bin, gleich dem Minister Frank die Autorität des Rechts mutig zu vertreten und eine verteidigungslose Verdammung Schuldloser als himmelschreiendes Unrecht zu verurteilen!

Meine Christen! Die Gefangensetzung vieler unbescholtener Personen ohne Verteidigungsmöglichkeit und Gerichtsurteil, die Freiheitsberaubung der beiden Herren Domkapitulare, die Aufhebung der Klöster und die Ausweisung schuldloser Ordensleute, unserer Brüder und Schwestern, nötigen mich, heute öffentlich an die alte, niemals zu erschütternde Wahrheit zu erinnern: „Justitia est fundamentum regnorum!“ Die Gerechtigkeit ist das einzig tragfeste Fundament aller Staatswesen!

Das Recht auf Leben, auf Unverletzlichkeit, auf Freiheit ist ein unentbehrlicher Teil jeder sittlichen Gemeinschaftsordnung. Wohl steht es dem Staate zu, strafweise seinen Bürgern diese Rechte zu beschränken, aber diese Befugnis hat der Staat nur gegenüber Rechtsbrechern, deren Schuld in einem unparteiischen Gerichtsverfahren nachzuweisen ist. Der Staat, der diese von Gott gewollte Grenze überschreitet und die Bestrafung Unschuldiger zuläßt oder veranlaßt, untergräbt seine eigene Autorität und die Achtung vor seiner Hoheit in den Gewissen der Staatsbürger.

Wir haben es in den letzten Jahren leider immer wieder beobachten müssen, daß mehr oder weniger schwere Strafen, meistens Freiheitsstrafen, verhängt und vollzogen wurden, ohne daß den Bestraften in einem ordnungsmäßigen Gerichtsverfahren eine Schuld nachgewiesen wäre, und ohne daß ihnen Gelegenheit gegeben wurde, ihr Recht zu verteidigen, ihre Schuldlosigkeit nachzuweisen. Wie viele deutsche Menschen schmachten in Polizeihaft, in Konzentrationslagern, sind aus ihrer Heimat ausgewiesen, die niemals von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden sind, oder die nach Freispruch vor Gericht oder nach Verbüßung der vom Gericht verhängten Strafe erneut von der Gestapo gefangengenommen und in Haft gehalten werden! Wie viele sind aus ihrer Heimat und aus dem Ort ihrer Berufsarbeit ausgewiesen! Ich erinnere erneut an den ehrwürdigen Bischof von Rottenburg, Johann Baptist Sproll, einen Greis von 70 Jahren, der vor kurzem sein 25jähriges Bischofsjubiläum fern seiner Diözese in der Verbannung feiern mußte, weil ihn die Gestapo vor drei Jahren aus seinem Bistum ausgewiesen hat.

Ich nenne nochmals unsere beiden Domkapitulare, die hochwürdigen Herren Vorwerk und Echelmeyer. Ich gedenke unseres verehrungswürdigen Herrn Religionslehrers Friedrichs, der im Konzentrationslager schmachtet.

Weitere Namen zu nennen, will ich mir heute versagen. Der Name eines evangelischen Mannes, der im Weltkrieg als deutscher Offizier und Unterseebootkommandant sein Leben für Deutschland eingesetzt hat, und nachher als evangelischer Pfarrer auch in Münster gewirkt hat, und der jetzt schon seit Jahren seiner Freiheit beraubt ist, ist euch allen bekannt, und wir alle haben die größte Hochachtung vor der Tapferkeit und dem Bekennermut dieses edlen deutschen Mannes.

An diesem Beispiel seht ihr, meine Christen, daß es nicht ein konfessionell katholisches Anliegen ist, das ich heute öffentlich vor euch bespreche, wohl aber ein christliches, ja ein allgemein menschliches und nationales, religiöses Anliegen.

„Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten!“ Wir beklagen es, wir beobachten es mit größter Sorge, daß wir sehen, wie dieses Fundament heute erschüttert wird, wie die Gerechtigkeit, die natürliche und christliche Tugend, unentbehrlich für den geordneten Bestand jeder menschlichen Gemeinschaft, nicht für alle unzweideutig erkennbar gewahrt und hochgehalten wird. Nicht nur um der Rechte der Kirche willen, nicht nur um der Rechte der menschlichen Persönlichkeit willen, sondern auch aus Liebe zu unserem Volke und in ernster Sorge um unser Vaterland erbitten wir, verlangen wir, fordern wir: Gerechtigkeit! Wer muß nicht fürchten für den Bestand eines Hauses, wenn er sieht, daß die Fundamente untergraben werden!

„Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten!“ Die Staatsgewalt kann nur dann der rechtswidrigen Gewaltanwendung des zufällig Stärkeren, der Unterdrückung der Schwachen und ihrer Erniedrigung zu unwürdigem Sklavendienst mit Ehrlichkeit und der Aussicht auf dauernden Erfolg entgegentreten, wenn auch die Inhaber staatlicher Machtmittel sich in Ehrfurcht beugen vor der königlichen, Majestät der Gerechtigkeit und das strafende Schwert nur im Dienst der Gerechtigkeit gebrauchen. Nur jener Gewalthaber wird auf ehrliche Gefolgschaft und den freien Dienst ehrenhafter Männer rechnen können, dessen Maßnahmen und Strafverfügungen im Lichte unparteiischer Beurteilung als jeder Willkür entrückt und mit der unbestechlichen Waage der Gerechtigkeit abgewogen sich erweisen. Darum erzeugt die Praxis der Verurteilung und Bestrafung ohne die Möglichkeit der Verteidigung, ohne Gerichtsurteil, „die verteidigungslose Verdammung von vornherein Verurteilter“, wie Reichsminister Dr. Frank es nannte’ ein Gefühl der Rechtlosigkeit und eine Gesinnung ängstlicher Furchtsamkeit und knechtischer Feigheit, die auf die Dauer den Volkscharakter verderben und die Volksgemeinschaft zerreißen müssen.

Das ist die Überzeugung und die Besorgnis aller rechtlich denkenden deutschen Menschen. Das hat ein hoher Justizbeamter im Jahre 1937 im Reichsverwaltungsblatt offen und mutig ausgesprochen. Er schrieb: „je größer die Machtvollkommenheit einer Behörde ist, um so notwendiger ist eine Gewähr für einwand- freie Handhabung; denn um so schwerer werden Mißgriffe empfunden, um so größer ist auch die Gefahr der Willkür und des Mißbrauchs. Wird die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeschlossen, so muß in jedem Fall ein geordneter Weg für unparteiische Kontrolle gegeben sein, so daß kein „Gefühl der Rechtlosigkeit aufkommen kann, das jedenfalls auf die Dauer die Volksgemeinschaft schwer schädigen müßte“ (Reichs­verwaltungs­blatt 1937, S. 572 – Herbert Schelcher, Präsident des Sächsischen Ober­verwaltungs­gerichts in Dresden).

Bei den Anordnungen und Strafverfügungen der Gestapo ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeschlossen. Da wir alle keinen Weg kennen, der für eine unparteiische Kontrolle der Maßnahmen der Gestapo, ihrer Freiheitsbeschränkungen, ihrer Aufenthaltsverbote, ihrer Verhaftungen, ihres Gefangenhaltens deutscher Volksgenossen in Konzentrationslagern gegeben wäre, so hat bereits in weitesten Kreisen des deutschen Volkes ein Gefühl der Rechtlosigkeit, ja feiger Ängstlichkeit Platz gegriffen, das die deutsche Volksgemeinschaft schwer schädigt. – Die Pflicht meines bischöflichen Amtes, für die sittliche Ordnung einzutreten, die Pflicht meines Eides, in dem ich vor Gott und vor dem Vertreter der Reichsregierung gelobt habe, nach Kräften „jeden Schaden zu verhüten, der das deutsche Volk bedrohen könnte“, drängen mich, angesichts der Taten der Gestapo, diese Tatsache öffentlich warnend auszusprechen.

Meine Christen! Man wird mir vielleicht den Vorwurf machen, mit dieser offenen Sprache schwäche ich jetzt im Kriege die innere Front des deutschen Volkes. Demgegenüber stelle ich fest: Nicht ich bin die Ursache einer etwaigen Schwächung der inneren Front, sondern jene, die ungeachtet der Kriegszeit, ungeachtet der augenblicklichen Not, ja, jetzt hier in Münster zum Abschluß einer Schreckenswoche schauriger Feindesangriffe, schuldlose Volksgenossen ohne Gerichtsurteil und Verteidigungsmöglichkeit in harte Strafe nehmen, unsere Ordensleute, unsere Brüder und Schwestern, ihres Eigentums berauben, auf die Straße setzen, aus dem Lande jagen! Sie zerstören die Rechtssicherheit, sie untergraben das Rechtsbewußtsein, sie vernichten das Vertrauen auf unsere Staatsführung. Und darum erhebe ich im Namen des rechtschaffenen deutschen Volkes, im Namen der Majestät der Gerechtigkeit und im Interesse des Friedens und der Geschlossenheit der inneren Front meine Stimme, darum rufe ich laut als deutscher Mann, als ehrenhafter Staatsbürger, als Vertreter der christlichen Religion, als katholischer Bischof: „Wir fordern Gerechtigkeit!“

Bleibt dieser Ruf ungehört und unerhört wird die Herrschaft der Königin Gerechtigkeit nicht wiederhergestellt, so wird unser deutsches Volk und Vaterland trotz des Heldentums unserer Soldaten und ihrer ruhmreichen Siege an innerer Fäulnis und Verrottung zu Grunde gehen!

Lasset uns beten für alle, die in Not sind, besonders für unsere verbannten Ordensleute, für unsere Stadt Münster, daß Gott weitere Prüfungen von uns fern halte, für unser deutsches Volk und Vaterland und seinen Führer!

Textquelle: Bischöfliches Generalvikariat Münster

 
St. Lamberti Münster © Fiebig

Info


Datum: 13. Juli 1941
Tag: 6. Sonntag nach Pfingsten
Ort: St. Lamberti, Münster
Evangelium: Mk 8,1–9

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Eine ausführliche Dokumentation zum seliggesprochenen Kardinal von Galen bietet das Bistum Münster auf seinen Seiten.

www.bistum-muenster.de