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„Weißt Du, was Hunger ist?“

Johannes Prassek in einem Kassiber im Dezember 1942

Weißt Du, was Hunger ist? Wenn der Magen knurrt und man hat dieses unangenehme „Hunger“gefühl, das ist noch kein Hunger! Aber: Wenn es Dir aus dem Halse herausstinkt vor Leere und vor verdorbenen Speiseresten etc. in der Speiseröhre oder wer weiß wo, wenn im Munde zwischen den Zähnen – trotz allen Putzens – so ein fieser Geschmack des Mangels sich bemerkbar macht, wenn das Zahnfleisch sich löst und schon bei einer leichten Berührung mit der saugenden Zunge das Blut herausquillt, wenn trotz aller Kleidung, trotz sommerlicher Hitze Dein Körper nicht warm wird, sondern die Finger bis zur Handfläche hin und die Zehen an den Füßen blutleer und abgestorben sind, wenn Du bis an die Ellenbogen kalte Arme und bis an die Knie kalte Beine hast, wenn überall am Körper es an kleinen Stellen wie mit Nadeln vor Kälteschauern sticht, die ganze Nacht über legst Du Dich von einer schmerzenden Seite auf die andere, weil Du nicht warm wirst und auch darum nicht schlafen kannst.

Und dann dieses grausige dumpfe Gefühl im Kopf, wie wenn einer von allen Seiten mit Zentnerlast dagegendrückt, wenn Du aufstehst, musst Du Dich erst festhalten, damit Du vor Schwindel nicht umfällst, dann dreht sich erst einmal alles, es wird Dir schwarz vor den Augen, bis sich das Blut gesetzt hat.

Was es zu essen gibt, frißt Du weg: Pellkartoffeln mit Pelle natürlich, damit keine Stärke verloren geht, altes, schimmeliges Brot holt man sich aus dem Abfalleimer, und die kalten Pellkartoffeln, die beim Freßnapf des Hundes im Sande liegen, werden wie Kostbarkeiten gesammelt, an der „sauberen“ Hose abgewischt und verschlungen. Das abgegessene Gehäuse eines Apfels, wenn auch schon etwas faulig, wird trotzdem nicht verschmäht, wegen eines Stückchens Brot könnte ich jemanden umbringen.

Furchtbar ist dazu die schreckliche Unzufriedenheit mit sich selber, den Mitmenschen und schließlich auch mit Gott. Es ist einfach physisch unmöglich, anders zu sein als unzufrieden. – Das ist Hunger, und das ist hier seit Monaten mein Begleiter gewesen.

 

Hungerkassiber

Info


Johannes Prassek schrieb diesen Kassiber, eine Geheimbotschaft, im Dezember 1942 an Josefine Gunkel, er wurde aus dem Gefängnis geschmuggelt.

Jetzt anhören: Prasseks Hungerkassiber


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