Peter Brandewiede: Gedenken in Haftanstalten
Rede zur Enthüllung einer Gedenktafel am 17. Juni 2011
Eine Gedenktafel, die vor einer Haftanstalt an Opfer des Naziregimes erinnert, ist noch keine Selbstverständlichkeit. Das ist verwunderlich, denn Haftanstalten waren Orte, die in der Nazizeit der Einschüchterung dienten und in denen Gegner des Regimes ganz besonders gelitten haben und in denen viele von ihnen gestorben sind. Für das Gedenken an die Nazi-Opfer wurden aber zunächst andere Orte als Gefängnisse gewählt.
Nach dem Ende der Naziherrschaft wurden Haftanstalten viel mehr in fast allen Fällen weiter genutzt und das, was an Grausamkeiten innerhalb der Mauern geschehen war, sollte zunächst möglichst schnell vergessen werden. (Das gilt für den Westen Deutschlands)
In Hamburg wurden bekanntlich zwei Haftanstalten nach dem Kriege auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme eröffnet, ohne dass sich dagegen damals Stimmen erhoben. Inzwischen, aber erst 2006, sind beide Haftanstalten geräumt und verlegt worden, um einer würdigen Gedenkstätte Platz zu machen.
Ich erinnere sehr wohl Diskussionen in den 80er und 90er Jahren über angemessene Formen des Gedenkens und Erinnerns an das Unrecht, das auch in Vollzugsanstalten geschah. Eine Frage trat dabei immer wieder in den Vordergrund:
Ist es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Justizvollzug zuzumuten, ihre Aufgaben in dem Bewusstsein verrichten zu müssen, ihre Arbeit könnte noch heute mit den Gräueltaten assoziiert werden, die damals auch von Mitgliedern des Personals in den Haftanstalten ausgingen?
Die Gleichsetzung der Haltung des Personals von damals mit denen von heute klingt zunächst sehr abwegig vor dem Hintergrund, dass die staatliche Machtausübung in Haftanstalten heute genauen gesetzlichen Regelungen und vielfältigen rechtsstaatlichen Überprüfungen unterliegt.
Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass solche Vergleiche gleichwohl immer noch angestellt werden. Auch noch heute sehen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich uns von Seiten einzelner Gefangener, von Angehörigen und anderen gelegentlich bei unserer Arbeit dem Vorwurf ausgesetzt, auf Nazimethoden zurückzugreifen, oder die Beamten werden als KZ-Wärter beschimpft. Eine Erscheinung, die vergleichbar auch bei der Polizei auftritt.
Es ist Aufgabe der Anstaltsleitungen, solchen Vergleichen entschieden entgegen zu treten, unabhängig davon, ob es sich dabei um unbegründete Provokationen handelt oder ob dem im Einzelfall tatsächlich ein Fehlverhalten eines Bediensteten zugrunde liegt, dem es nachzugehen gilt. Denn diese Vergleiche lassen nicht nur außer Acht, dass es heute hochqualifiziertes Personal im Vollzug und zahlreiche Kontrollmechanismen gibt, die derartigen Fehlentwicklungen entgegenwirken. Insbesondere aber beleidigen diese Vergleiche zwischen den heutigen Verhältnissen und der Nazizeit die Opfer von damals, die unter Einsatz ihres Lebens zu ihren Überzeugungen standen.
Wir, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug, sollten also selbstbewusst mit den dunklen Kapiteln in der Geschichte der Anstalten umgehen.
Ich will einen zweiten Grund nennen, der bislang ein öffentliches Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Haftanstalten verhindern könnte. Die Allgemeinheit nimmt das, was für die Gesellschaft bei der Vollstreckung von Freiheitsstrafen und bei der Eingliederung der Straftäter in das Leben in Freiheit in den Haftanstalten geleistet wird, nur widerstrebend und unzureichend wahr.
Justizvollzugsanstalten und insbesondere das, was hinter ihren Mauern geschieht, wird allenfalls gelegentlich von den Medien skandalisiert, sei es weil dort vermeintlich zu lasch oder zu hart mit den Straftätern umgegangen wird. Ein solcher, gleichsam verdrängter Ort wird von der Allgemeinheit zum ernsthaften Gedenken bislang offenbar nur schwer angenommen.
Ich bin deshalb sehr froh, dass in diesem Fall aus Anlass der Seligsprechung der Lübecker Märtyrer von außen aus der Gesellschaft heraus durch den Ökumenischen Arbeitskreis 10. November die Initiative ergriffen wurde, das ehemalige Gefängnis Lauerhof als einen öffentlichen Ort des Gedenkens auszuwählen. Das ehemalige Gefängnis Lauerhof wird auf diese Weise zu einem Teil des Gedenkweges „Unterwegs zu den vier Lübecker Märtyrern“.
Ich wünsche mir, dass damit zugleich die Justizvollzugsanstalt Lübeck als ein Ort noch stärker in das öffentliche Bewusstsein rückt, in dem heute unter Beachtung der Menschenrechte und der Menschenwürde Straftäter sicher verwahrt auf die Eingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden.
Die Erinnerung an den staatlichen Machtmissbrauch in der Nazizeit und das Gedenken an die Opfer, zu der diese Tafel beitragen soll, wird für mich – und ich bin überzeugt, dass ich für alle Bediensteten der Anstalt sprechen kann – immer von neuem Mahnung sein, die notwendigen Eingriffe in die Freiheitsrechte der hier einsitzenden Straftäter und auch den gelegentlich erforderlichen Einsatz von Zwangsmitteln in jedem Einzelfall auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.
Ich will es noch deutlicher sagen: diese Tafel wird uns – über das Gedenken an die Naziopfer hinaus – alltäglich vor Augen führen, dass wir, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Lübeck, dankbar sein können, heute unsere Arbeit in einem rechtsstaatlichen Rahmen leisten zu dürfen. Zugleich werden wir die Botschaft dieser Tafel als Ansporn und Verpflichtung betrachten, diesen rechtsstaatlichen Rahmen verantwortungsbewusst auszufüllen und zu bewahren.