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Erzbischof Werner Thissen: Herr, hier sind meine Hände

Fastenhirtenbrief vom 13. März 2011

Liebe Schwestern und Brüder im Erzbistum Hamburg!

Mit diesem Brief lenke ich Ihren Blick auf das große Bistumsfest in Lübeck. Am 24. und 25. Juni werden wir in festlicher Weise das Gedenken an die vier Lübecker Märtyrer feiern. Die drei Kapläne werden im Auftrag von Papst Benedikt seliggesprochen. Der evangelische Pastor wird mit einem besonderen Gedenken geehrt.

Da die evangelische Kirche die Form der Seligsprechung nicht kennt, haben wir vereinbart, dass jede Konfession ihre eigene Art des Gedenkens einbringt. Beim Gottesdienst am Freitagabend in der Lübecker Lutherkirche steht die Erinnerung an Pastor Stellbrink im Vordergrund. In der Eucharistiefeier am Samstagvormittag auf der Parade vor der Herz-Jesu-Kirche geht es vor allem um das Gedenken an unsere drei Kapläne. Aber immer werden alle vier Märtyrer namentlich erwähnt.

1. Was bedeutet Seligsprechung und warum ist sie ein so wichtiges Ereignis?

„Kommen die Märtyrer jetzt eine Stufe höher in den Himmel?“, werde ich ironisch gefragt. Nein, unsere Märtyrer sind für immer in seliger Gemeinschaft bei Gott. Für sie ändert sich nichts. Aber für uns ändert sich viel. Wir dürfen sie mit offi zieller Zustimmung und Weisung der Kirche als Vorbilder verehren und als Fürsprecher bei Gott anrufen. Aus der mehr lokalen Verehrung, die sich bisher hauptsächlich auf das Dekanat Lübeck erstreckte, wird jetzt eine Verehrung im ganzen Erzbistum und überall dort, wo die Märtyrer bekannt gemacht werden. Die sofort nach dem Martyrium 1943 und verstärkt nach dem Krieg einsetzende Verehrung in Lübeck hat dafür den Weg bereitet.

Im Jahre 2004 habe ich dann das Seligsprechungsverfahren eröffnet. Dokumente wurden gesammelt und Zeitzeugen befragt. Frömmigkeit, Seelsorge und Theologie der Kapläne wurden begutachtet. All das wurde der zuständigen Kongregation in Rom vorgelegt, dort geprüft und einer kritischen Würdigung unterzogen. Vor einigen Monaten erreichte uns dann die Nachricht, dass Papst Benedikt die Seligsprechung der Kapläne in einem Dekret fest gesetzt hat.

In der Regel dauert ein solches Verfahren Jahrzehnte. Dass es für unsere Märtyrer ungewöhnlich schnell durchgeführt wurde, verdanken wir der persönlichen Weisung von Papst Benedikt.  Der Unterschied zwischen Seligen und Heiligen besteht darin, dass Heilige im allgemeinen Kalender der Weltkirche verzeichnet sind und auf der ganzen Welt verehrt werden, während Selige in bestimmten Ländern, Bistümern oder Orden offi zielle Verehrung erfahren.

Seit Beginn des Seligsprechungsverfahrens wuchs nicht nur in unserem Erzbistum das Interesse an den Märtyrern, sondern auch weit darüber hinaus. Sogar aus Übersee kamen Anfragen. Briefe und andere Dokumente, die längst als verschollen galten, wurden in Privathäusern und Archiven gesucht und gefunden. Aus der räumlich begrenzten Wertschätzung der Märtyrer wurde eine immer weiter um sich greifende, öffentliche Verehrung. Auch das ist ein erfreuliches Ergebnis des Seligsprechungsverfahrens.

2. Worin sind uns die neuen Seligen Vorbild?

Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen. Als die Diktatur Hitlers die Freiheit des Gewissens und das Wirken der Kirche immer mehr einengte, haben sich viele Christen angepasst oder sich von Glaube und Kirche abgewandt. Es erforderte Mut und Glaubenstreue, sich zu den Weisungen des Evangeliums zu bekennen und für die Gebote Gottes einzusetzen. Das haben ja auch unsere Schwestern und Brüder in Mecklenburg erlebt.

Die Lübecker Märtyrer haben mit Entschiedenheit die Botschaft Jesu verkündet, obwohl diese der Botschaft Hitlers radikal widersprach. Sie haben sich für die Würde aller Menschen eingesetzt, obwohl Betreuung und Hilfe für polnische Zwangsarbeiter streng verboten waren. Sie haben vielen Menschen zu einem wachen Gewissen verholfen, obwohl statt Gewissensentscheidung blinder Gehorsam erwartet wurde.

Mit den Lübecker Märtyrern bleiben auch die achtzehn Gemeindemitglieder in Erinnerung, die ebenfalls verhaftet wurden. Und wir wollen auch die Personen nicht vergessen, welche die Kapläne während der langen Gefängniszeit unterstützt haben. Ohne die mutige Haushälterin Johanna Rechtien, welche Hostien und Messwein ins Gefängnis schmuggelte, wäre die geheime Feier der Eucharistie dort nicht möglich gewesen.

3. Woher nahmen die Märtyrer die Kraft?

Die Kapläne waren lebenslustige junge Leute. Unterschiedlich in ihrem Wesen, schwärmten sie für Kunst und Literatur oder für Natur, Reisen oder Fotografi eren. Aber alles, was sie arbeiteten und erlebten, planten und gestalteten, hatte einen eindeutigen Bezugspunkt: Sie wollten in allem den Willen Gottes erfüllen. Das war ihr wichtigstes Motiv. In ihren Briefen, die im Zuge des Seligsprechungsverfahrens gesammelt wurden, kommt das bei allen Dreien eindeutig zum Ausdruck. Mich bewegt vor allem das Gebet von Kaplan Eduard Müller, das ich selbst täglich zu beten versuche:

„Herr, hier sind meine Hände.
Lege darauf, was du willst.
Nimm hinweg, was du willst.
Führe mich, wohin du willst.
In allem geschehe dein Wille.“

Je mehr das sogenannte Gerichtsverfahren gegen die Geistlichen auf die Todesstrafe zuläuft, desto intensiver sprechen alle von ihrem festen Glauben an das ewige Leben. Kaplan Lange schreibt an seinem Todestag an seine Eltern:

„Jetzt wird für mich der Glaube übergehen in Schauen, die Hoffnung in Besitz und für immer werde ich Anteil haben an dem, der die Liebe ist … Da gibt es keine Geheimnisse und quälende Rätsel mehr.“

So kann jemand im Angesicht des Todes nur empfi nden, wenn er schon lange solchen Glauben praktiziert hat. Den Geistlichen war bewusst, dass das menschliche Leben der zeitliche Weg ist zur Ewigkeit Gottes. Dafür waren sie Priester geworden. Das wollten sie vorleben und verkünden. Diesen Weg wollten sie mit den ihnen anvertrauten Menschen gehen. Davon machten sie keine Abstriche. Auch dann nicht, als dieser Weg sie in äußerste Bedrängnis führte.

Ein weiteres gemeinsames Glaubensmotiv war für sie, dass sie vom Himmel aus noch viel mehr für die Menschen tun können als auf Erden. Aus ihren Briefen geht hervor, wie gern sie weiter als Seel sorger gewirkt hätten. Aber ihnen ist auch bewusst, dass die Gemeinschaft der Glaubenden im Tode nicht zerreißt. Kaplan Prassek schreibt an eine Ordensschwester:

„Bleiben Sie gut, lassen Sie niemals den Mut sinken. Ich habe in den Monaten im Gefängnis täglich für Sie gebetet. Wenn ich jetzt nahe bei Gott bin, werde ich es noch viel mehr tun. Haben Sie niemals Angst!“ 

Das sind drei starke Glaubensmotive, die uns die Kapläne vorgelebt haben: – der Wille Gottes als entscheidender Lebensimpuls – das ewige Leben als Ziel vor Augen haben – die Zugehörigkeit zu Christus als starke Verbindung zwischen Lebenden und Verstorbenen. Mit diesen drei Glaubensmotiven gehen auch wir auf den Spuren der Märtyrer.

4. Die ökumenische Dimension

Kardinal Kasper, der in dem Gottesdienst der Seligsprechung die Predigt halten wird, sagt:

„Die ökumenische Bewegung wurzelt in der Missions- und Diasporaerfahrung, in Leidenserfahrung konfessionsverschiedener Ehen und Familien, aber auch in der Erfahrung von Gemeinschaft, welche katholische und evangelische Christen in den Schützengräben und in den Luftschutzbunkern des Zweiten Weltkriegs und nicht zuletzt im gemeinsamen Widerstand gegen ein brutales, inhumanes System machten.“

Ich füge hinzu: Denken und Fühlen der Zusammengehörigkeit zwischen katholischen und evangelischen Christen wurzelt auch im gemeinsamen Wirken und Sterben der vier Lübecker Märtyrer. Die wachsenden Kontakte zwischen dem evangelischen Pastor Stellbrink  und Kaplan Prassek führten auch zur freundschaftlichen Verbindung der Familien Stellbrink und von de Berg. Herr von de Berg war angesehenes Mitglied der katholischen Gemeinde. Vater Stellbrink und Vater von de Berg beteten gemeinsam vor dem Kruzifi x im Esszimmer. Was damals ungewöhnlich war, ist heute selbstverständlich geworden.

Als ich im Jahre 2003 erstmals das Wort „Seligsprechung“ erwähnte, war bei manchem die Sorge groß, die Erinnerung an die vier Märtyrer könnte dadurch getrennt werden. Das Gegenteil war beabsichtigt und trifft auch immer mehr zu. Die unterschiedliche Art des Gedenkens und der Verehrung in der katholischen und evangelischen Kirche ist vor allem ein Unterschied in der Form. Vieles an gemeinsamem Inhalt und an vorhandener Wertschätzung bleibt davon unberührt.

Die Deutsche Bischofskonferenz und die Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sagen in einer Erklärung aus dem Jahre 2000, dass die Verehrung der Heiligen und Seligen vor allem eine Form der Gottesverehrung ist. Deshalb kann man mit Recht sagen: Sofern die alleinige Mittlerschaft Christi nicht beeinträchtigt wird, sind unterschiedliche Formen der Verehrung nicht kirchentrennend.

Die Sorge um die Trennung der vier Märtyrer ist der Hoffnung auf noch mehr Gemeinsamkeit gewichen. Dies habe ich auch in meinem Wort an die gemeinsame evangelische Synode der Nordelbischen, Mecklenburgischen und Pommerschen Kirche kürzlich dargelegt. Der starke Beifall der Versammlung bestärkt diese Hoffnung. Gemeinsam mit Bischof Gerhard Ulrich, dem leitenden Bischof der Nordelbischen Kirche, habe ich kürzlich in Rom Kardinal Amato  besucht. Dieser wird die Seligsprechung in Lübeck proklamieren im Auftrag von Papst Benedikt. Wir kamen schnell zu der gemeinsamen Auffassung, dass die Feiern in Lübeck wichtige Schritte sind zu noch mehr Gemeinsamkeit zwischen den Konfessionen. Dasselbe klang bei Kardinal Kasper an, als wir ihn besuchten.

5. Einladung

Liebe Schwestern und Brüder, herzlich lade ich Sie ein nach Lübeck. An der Lebensgeschichte der vier Geistlichen können wir ablesen, was es an Lebensqualität bedeutet, mit Christus den Weg durch die Zeit zu gehen und auf Christus seine Hoffnung zu setzen in der Gemeinschaft der Christenheit. Dass wir dafür aufgeschlossen sind und mit Entschiedenheit den Weg des Glaubens in unserer Zeit gehen, dazu segne Euch der dreifaltige Gott, der Vater und der Sohn und der heilige Geist.

Hamburg, 3. Februar 2011, am Fest des heiligen Ansgar

Ihr
Dr. Werner Thissen
Erzbischof von Hamburg

 

Info


Erzbischof Dr. Werner Thissen schreibt am 13. März 2011 in seinem Fastenhirtenwort über die im Juni stattfindendende Seligsprechung. Besonderes Augenmerk legt er auf das gemeinsame Zeugnis der Konfessionen, das ein Antrieb für die Ökumene ist.

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Das Hirtenwort steht auf der Seite des Erzbistums Hamburg zum Download bereit.

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