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Pfarrer Georg Bergner: Gegen die Erregtheit der Zeit

Predigt am 20. März 2011 in Lübeck

Evangelium: Matthäus 17,1–9

Liebe Schwestern und Brüder,

Grün bedeutet Feuer. Die Bilder sind vertraut. Infrarotkameras zeigen in schwarz-grünen Aufnahmen den sauberen Krieg. Gezielter Waffeneinsatz, effektive Zerstörung, überlegene Technik. Die Bilder sind wieder da. Sie stammen von französischen Kriegsflugzeugen über Nordafrika. Eine Weltarmee ballt sich zusammen zur Unterstützung arg bedrängter Rebellenverbände. Sie sind gegen ein Regime ausgezogen, dessen Herrscher noch vor wenigen Wochen von unseren Medien freundlich als Staatspräsident, heute nur noch als Machthaber und Diktator bezeichnet wird. Der Potentat muss gehen. Die Empörung gegen einen Kriegstreiber, der wehrlose Menschen zusammenschießen lässt, hat die Weltgemeinschaft zum Schulterschluss bewegt.

Grün bedeutet Feuer. Und wieder ist sie da, die Berichterstattung über ein unübersichtliches Kriegstreiben mit ungewissem Ausgang. Wieder hört man die Stimmen von der Rechtmäßigkeit des Bombens. Was die Menschen zu Hause auf der Couch erreicht, ist die Illusion eines gezielten schnellen Eingreifens, wie es schon im Irak nicht geklappt hat und auch nicht Afghanistan.

Und es breitet sich ein hitzige Erregtheit aus, die uns aus dem Alltäglichen herausreißt, ein vibrierendes Gefühl: Ja, es ist Krieg und wir sind die Guten und die Überlegenen und wir werden es diesem Gaddafi, diesem Schurken, den wir nie leiden konnten, auch wenn wir ihn als Geschäftspartner brauchten, schon zeigen. So manch einem ist die deutsche Enthaltung in diesem Weltbündnis schon peinlich – soviel Pazifismus darf das sein?

Grün bedeutet Feuer, und Grün bedeutet Zerstörung und Grün bedeutet tausendfachen Tod und Grün wird wieder zivile Opfer bedeuten, und grün bedeutet eine lange Zeit und grün bedeutet eine  ungewisse Zukunft. Ja, vielleicht ist es richtig, so zu handeln, vielleicht ist es notwendig, vielleicht ist es auch ein Fehler, vielleicht führt es ja zum Guten, vielleicht auch nicht.

Wer bewahrt in dieser Lage einen kühlen Kopf, wer verschließt sich der allgemeinen Erregung, dem medialen Overkill. Und wer wird in dieser Situation des aufregenden Fernsehkrieges noch auf die Orte schauen, die unsere Erregung und unsere Hilfe genauso bräuchten:  Japan natürlich, Afghanistan, die Elfenbeinküste, wo in blutiger Bürgerkrieg droht, Oman, Bahrain und andere Länder, in denen auf Demonstranten geschossen wird. Wer weiß noch, was zur Zeit in Dafour geschieht, oder in Somalia, wer schaut, wie es den Menschen in Haiti ein Jahr nach dem Erdbeben geht? Wer spricht von den verfolgten Christen in Asien und der arabischen Welt, ganz zu schweigen vor den Dramen vor unserer eigenen Tür. Das alles steht zurück gegen die erregende Erfahrung des Krieges vor unserer Haustür – und das ist nicht erst heute so.

Wir können uns schon die Zeit Jesu als eine solche erregte Zeit vorstellen. Ein religiös motivierter Nationalismus bewegt ein ganzes Volk gegen eine Weltmacht. Rom hat sich gegenüber der restlichen Welt mit Ausnahme Griechenlands als Überbringer von Kultur, Recht und Zivilisation verstanden, als toleranter Befrieder des Erdkreises, dem diese Befriedung Reichtum und Wohlstand eingebracht hat.

Die Juden, die über viele Jahrhunderte Erfahrung mit fremder Herrschaft gemacht haben, zweifeln. Sie wollen ihre Unabhängigkeit wieder erlangen, ihre eigene religiöse und kulturelle Identität ausüben können. Sie wollen nicht nur unter den kulturellen und politischen Vorgaben des römischen Reiches existieren dürfen. Im Hohenprister und ihrer eigenen Aristokratie sehen sie Kollaborateure, die ihre eigene Identät verleugnen. In diesem Klima nationaler Erregung fokussiert sich bei vielen alles auf die Frage des Widerstandes.

Aus ihrer eigenen Tradition heraus lesen die Gestalt eines Widerstandskämpfers göttlichen Zuschnitts: einen Befreier und Erlöser vom Joch der Fremdherrschaft. Und Petrus sagt es Jesus ins Gesicht: Du bist der Messias. Du bist derjenige, der das leisten wird. Und Jesus gibt ihm recht, sagt aber dann sofort: Der Messias wird von den Seinen verstoßen werden, sie werden ihn foltern und ans Kreuz schlagen lassen. Petrus will das nicht akzeptieren: Nein, der Messias wird kein Opfer der Gewalt, er ist ein Sieger des gerechten Krieges. Und Jesus weist ihn zurück: Weg mit dir Satan, du hast nicht das im Sinn was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Sie wollen Krieg führen, sie meinen, die Welt verändern zu können mit Gewalt, mit ihrem Eifer, mit ihren Ideen.

Direkt an dieses Zwiegespräch schließt sich der Abschnitt des heutigen Evangeliums an. Er wird in die Erregtheit der Zeit hineingewoben, bedeutet einen Haltepunkt im unumkehrbaren Lauf der Lebens- und Leidensgeschichte. In all dem: Was ist es, das Gott will? Die Erzählung von dem was dort auf dem Berg fernab des Treibens des Welt geschieht, deutet in seinen starken Bildern, was es ist, das Gott will, und das den Menschen nicht klar ist.

Derselbe Petrus wird mit zwei anderen Jüngern Zeuge einer Erscheinung. Die Realität des gewohnten Weltenlaufes wird für einen Augenblick belanglos, angesichts der Erfahrung des aufgerissenen Himmels. Was hier geschieht ist Offenbarung, Teilhabe an der tiefen Einsicht göttlichen Handels. Der leuchtende Christus, der mit den Zeugen der vergangenen Zeiten spricht, zeigt an, dass hier eine endgültige Auslegung der heiligen Schriften geschieht. Die leuchtende Wolke und die Stimme vom Himmel verkünden es: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. Das ist die Einsetzung des Messias mit höchster Autorität. Es wird kein Weg an ihm vorbeigehen. Alles, was mit ihm geschehen wird, entspringt dem göttlichen Plan. Der Logik der Welt wird eine andere Logik entgegengesetzt, die Logik der Gnade. Diese Logik der Gnade kennt die Erwählung im Scheitern, sie unterfängt die Trübsal der Gefangenen, sie richtet den Gebeugten auf, sie schenkt den  Unterdrückten den tiefen inneren Frieden. Die Logik der Gnade geht über alle menschliche Logik hinaus und kann doch mitten unter den Menschen sein. Die Logik der Gnade liegt als wahrhafter Goldgrund hinter allem weltlichen Desaster und leuchtet doch mitten in der Welt auf.

Ohne diese Logik der Gnade hätte es die Lübecker Märtyrer nicht gegeben. Aus dem Gesagten ergibt es sich von selbst.

Ein Blick in ihre Zeit: Der Nationalsozialismus hätte nicht eine solche Zustimmung erfahren, wenn er nicht als säkulare Religion dahergestampft gekommen wäre, wenn es ihm nicht gelungen wäre, die Hoffnung auf Erlösung durch ein großdeutsches Friedensreich in den Herzen der Menschen zu verankern - ein Reich, in dem alle Gegner, Subkulturen und feindlichen Rassen vernichtet oder zu Sklaven degradiert worden wären.

„Wenn wir im Fackelschein um das Ehrenmal standen und aus voller Kehle Volkslieder sangen, befiel mich ein Schauer der Überwältigung. An einer solchen Lehre musste doch etwas sein“, so erzählte mir eine alte Dame von ihren Erfahrungen als Kind in den Dreißiger Jahren in ihrem schlesischen Heimatort. Und sie fügte hinzu: „Wir Kinder gingen mit Freude zum BDM und zur HJ. Noch jetzt erzählen einige meiner Bekannten, dass die Jugendzeit im BDM für sie die Zeit ihres Lebens war.“

Der nationalsozialistische Kitt verklebte sorgfältig die Stellen durchscheinender andersgearteter Religion und Weltanschauung. Die öffentlichen Manifestationen eines zuvor mehrheitlich christlichen Volkes wurden immer weiter zurückgedrängt. Wären die Christen nicht so viele gewesen, wären auch sie kollektiv verfolgt worden.

In einer solchen Zeit nationaler Erregung und religiöser Verblendung in der alles andere zu denken verboten ist, behält nur derjenige einen klaren Kopf, der um die Wirklichkeit der Gnade weiß, weil er sie selber erfahren hat. Es kann nur der etwas anderes als das Vorgedachte denken, der noch weiß, dass über der schwarzbraunen Wolkendecke eine goldene Sonne scheint, dass es jenseits der Logik der Welt eine ganz andere Logik gibt, die sich an dem ablesen lässt, der in seinem Leiden, Tod und Auferstehen als letzter Mittler göttlicher Ordnung offenbart wurde.

„Je mehr und je eher wir uns bereitwillig dazu verstehen, auf Ihn ein und über Anderes hinwegzugehen, desto mehr und eher wird uns die ganze Fülle und der ganze Reichtum göttlichen Liebens und Sorgens, göttlicher Schönheit, Harmonie, göttlicher Wahrheit, göttlichen Schenkens, Erbarmens, Verstehens, göttlicher Allmacht und Weisheit in allem und jedem, im Persönlichen wie im Weltgeschehen aufgehen.“

So schreibt es Johannes Prassek in einem Brief. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass wir es bei den Lübecker Märtyrern mit Priestern zu tun haben. Das ist wichtig. Wer aus ihnen Humanisten macht, die sich für Menschenechte eingesetzt haben und deshalb gestorben sind, greift zu kurz. Sie sind nicht Verteidiger humanistischer Prinzipien, sondern der göttlichen Gnadenordnung.

Die Lübecker Kapläne feierten jeden Tag die Heilige Messe. Sie ist zum einen realpräsentisches Gedächtnis an Leiden, Tod und Auferstehung Christi. Zum anderen ist sie Lebensader göttlicher Zuwendung, Durchbruch des Alltags, Öffnung zur Gnade hin, Manifestation der göttlichen Ordnung und ihre kontinuierliche Offenbarung. In ihr, wie auch den anderen Heilszeichen, den Sakramenten verdichtet sich die Wirklichkeit Gottes in die konkrete Zeit hinein. Es ist kaum verwunderlich, dass sich die Lübecker im Gefängnis fast noch mehr als für die auf abenteuerlichen Wegen zu ihnen gelangten Nahrungsmittel über jede Gelegenheit freuen, unter den ärmlichen Bedingungen ihrer Haft, die Heilige Messe feiern zu können.

Im Gebet und in der Auslegung des Evangeliums geben die Märtyrer ein weiteres Zeugnis ihrer Gottzugehörigkeit.

Als Priester sind sie, zumal in der strengen Theologie ihrer Zeit, Mittler der Gnade, Menschen, die durch ihr Lebenszeugnis zwischen Gott und Welt stehen, mitten in ihr, doch nicht ihren Gesetzen gehorchend, mit dem Herzen im Himmel und zugleich auf der Erde.

Dazu nur nebenbei: Die Ordnung der Welt hat zu allen Zeiten an der priesterlichen Lebensform Anstoß genommen, die immer schon so völlig unzeitgemäß war und es ist kein Wunder, dass sie in unseren Tagen wieder, diesmal unter relativistisch-materialistischen Vorzeichen unser ohnehin schon sehr flach unterschiedenes katholisches Priestertum in die vollkommene Bürgerlichkeit eingeebnet werden soll.

Johannes Prassek schreibt in seinem Abschiedsbrief:

„Heute Abend ist es nun so weit, dass ich sterben darf. Ich freue mich so, ich kann es Euch nicht sagen, wie sehr. Gott ist so gut, dass er mich noch einige schöne Jahre als Priester hat arbeiten lassen. Und dieses Ende, so mit vollem Bewusstsein und in ruhiger Vorbereitung darauf sterben dürfen, ist das Schönste von allem.

Worum ich Euch um alles in der Welt bitte, ist dieses: Seid nicht traurig! Was mich erwartet, ist Freude und Glück, gegen das alles Glück hier auf der Erde nichts gilt. Darum dürft auch Ihr Euch freuen. Für Euch ist mein Tod kein Verlust, ich hätte in meinem Amte als Priester Euch doch kaum mehr dienen können. Was ich für Euch habe tun können, dass ich täglich für Euch gebetet habe, werde ich jetzt noch viel mehr tun können.“

Diese Worte folgen der Logik der Gnade, die den Terror durchbricht. Golden leuchtet dem zum Tod verurteilten das Licht eines neuen Morgens, für den er auf der Erde Zeugnis gegeben hat.

Eine Ermutigung für unsere Zeit und eine ständige Herausforderung.

 

Info


Pfarrer Georg Bergner, Leiter der Pastoralen Dienststelle im Erzbischöflichen Generalvikariat Hamburg, hielt die Predigt als Fastenpredigt am Ersten Fastensonntag, 20. März 2011, in der katholischen Propsteikirche Herz Jesu in Lübeck.

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