Sprache

Schriftgröße

Gemeindereferentin Elke Sieksmeyer: Hermann Lange als Vorbild

Predigt am 27. Januar 2011

„Selig der Mensch,
der horchen lernt auf die innere Stimme,
auf sein besseres Ich,
auf Gott, der ihn ruft und sendet.“ [1]

Bald wird Hermann Lange das sein: selig. In diesem Jahr – genauer gesagt am 25. Juni 2011 – wird er mit Johannes Prassek und Eduard Müller seliggesprochen. Die evangelisch-lutherischen Kirche feiert zeitgleich in der Hansestadt Lübeck das ehrende Gedenken des evangelischen Pastors Stellbrink.

Seligsprechung und ehrendes Gedenken liegen in der heutigen theologischen Sicht unserer Kirchen längst nicht mehr so weit auseinander wie in früheren Zeiten. In einer Seligsprechung werden Glaubenszeugen als Vorbilder herausgestellt, deren Leben und Sterben beispielhaften Charakter haben. Das heißt nicht, dass sie im Leben alles richtig gemacht hätten. Bei weitem nicht. Im Gegenteil: Es kann auch dramatische Bekehrungen gegeben haben. Aber es bedeutet, dass sie ihren Glauben so konsequent gelebt haben, dass sie dafür in den Tod gegangen sind. Keiner der vier Lübecker Märtyrer hat versucht, sich während der langen Gefängniszeit herauszureden oder sich zu Hitlers Vorstellungen und Plänen zu bekennen. Alle vier haben an ihrem Glauben festgehalten, haben für ihr Christsein starke leibliche und seelische Strapazen auf sich genommen. Und dieses Widerstehen haben sie mit ihrem Leben bezahlt. Dieses Lebensopfer hat den Krieg nicht abgekürzt und das System nicht ins Wanken gebracht. Aber die Lübecker sind Zeugen einer anderen, einer besseren Welt in einer Welt des Unheils. Sie sind Zeugen der Wahrheit gegen die Lüge, Zeugen der Menschenwürde gegen die Menschenverachtung, Zeugen des Glaubens in einer Zeit, in der Menschen selbstherrlich den Thron Gottes beanspruchen. In diesem mit ihrem Tod besiegelten Zeugnis sind die Lübecker als Märtyrer untereinander verbunden und für uns heute Vorbild. Sie standen bis zum Tod zu ihrem Glauben, zu dem sie sich alle noch in bewegenden Abschiedsbriefen bekannt haben. Zusammen sind sie gestorben und wussten sich in Gott verbunden „wir sind wie Brüder“ bezeugte Hermann Lange. Er ist es, mit dem wir uns am heutigen Tag besonders verbunden fühlen.

Hermann Lange ist hier geboren, zur Schule gegangen und hat sich als Jugendlicher in dieser Kirchengemeinde engagiert. Wie war aber Hermann Lange, dessen Biographie uns eben vorgestellt wurde? Ich habe mich erstmals vor gut 20 Jahren mit einer Gruppe von Jugendlichen auf dem Weg gemacht sein, um Leben und seinen Glauben kennen zu lernen. Wir hatten nicht viel Material. Es wurde das Archiv dieser Kirchengemeinde auf den Kopf gestellt. Wir fanden Briefe, Bücher und Aufsätze von und über Hermann Lange. Wir haben viel gelesen und diskutiert, um seine Lebens- und Persönlichkeitsentwicklung nachzuvollziehen. Daraus entstand ein Sprechspiel mit dem Titel: „Wenn Ihr diesen Brief in Händen haltet... – Die Zivilcourage des Hermann Lange“, das anlässlich des 50. Todestages Langes hier in Leer aufgeführt wurde.

Während unserer Aufführungen im Jahr 1993 brannte nach 56 Jahren wieder eine Synagoge in Lübeck – vorher und nachher waren es Asylbewerberheime. Unser Sprechspiel bekam eine brisante Aktualität. Es war nicht mehr nur die Auseinandersetzung mit dem Lebensweg von Hermann Lange, vielmehr auch die Frage: Wie können rechtsextreme Denkmuster bei unsere Vergangenheit bis in die Gegenwart wirken? Das im Untertitel genannte Wort Zivilcourage kam uns hautnah entgegen und das Glaubenszeugnis von Hermann Lange stellte Anfragen an unseren Glauben.

Denn auch sein Leben war ursprünglich nicht spektakulär. Er kam aus einem behüteten Elternhaus und die Familie war sehr stark in der katholischen Kirche sozialisiert. Die Zeichen der Zeit prägten Lange und er wurde vom intellektuellen Theologen später zu einem Begleiter der Menschen und zeigte dabei Rückrat. Er schöpfte seine Kraft durch die Liebe seiner Familie und durch einen vertrauensvollen Glauben an Gott. Und im Gefängnis fühlte er sich von diesen Lebenserfahrung getragen. In dieser Zeit hat er es geschafft mit einem Todesurteil zu leben und zu sterben. Die Begleitung einiger Menschen und sein Glaube haben ihm dabei geholfen. Für mein Kennenlernen des Hermann Lange sind drei Zitate wichtig, die für mich viel über sein Wesen aussagen und die möchte ich Ihnen nun vorstellen:

Einer der Jugendlichen , die mit ihm verhaftet wurden sagte über ihn:

„Sein sprichwörtlicher Mut zur Wahrheit ließ ihn oft scharfe Worte finden zur Beurteilung des vergangenen Systems, was ihm den Hass der Gestapo eintrug. So ist es verständlich, dass ihm ein Bischof wie Graf von Galen aus der Seele sprach. Mit ihm trugen wir seine Predigten unter das Volk. So wie er im Glauben stand, musste er Bekenner sein“.

In einem Brief aus dem Gefängnis an seine Familie schreibt Lange:

„Meine Lieben! Zum zweiten Male habe ich nun Gelegenheit, Euch zu schreiben. Ich hoffe, dass die Wellen der Erregung sich so langsam wieder geglättet haben. So ist es ja nun einmal mit menschlichem Leben [...]. Ich persönlich bin ganz ruhig und sehe fest dem Kommenden entgegen. Der Tod bedeutet doch Heimkehr! Das, was uns dann geschenkt wird, ist ja doch so unvorstellbar groß. O, und wie schön wäre es, wenn wir uns alle einmal wiedersehen dürften! Es ist bei nahe zu schön, als dass man diesen Gedanken zu Ende denken dürfte! Aber einen kleinen Wunsch möchte ich Euch nennen, ja? Ein Gläschen Marmelade. Das wäre schön! Mehr mag ich nicht wünschen, weil ich ja weiß, dass alles so knapp ist. [...] vielleicht auch einige Pflaumen, ich weiß ja nicht, ob [der Gefängnispfarrer] Behnen das alles mitnehmen kann. Für diesen kleinen materiellen Gruß bin ich Euch herzlich dankbar!“

Der eben erwähnte Gefängnispfarrer Behnen berichtet von seinem Todestag:

„[Es wurde 6 Uhr.] Ich ging rechtzeitig zu ihm [...] mit den Sakramenten. …Ich sagte ihm: ‚Lieber Hermann, eins habe ich auf der Seele. [...] bete mit allen Kräften der Seele und des Leibes: Vater verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was für ein Unrecht sie mir zufügen.‘ Er sah mich an, und dann sagte er: ‚Es ist schwer.‘“

In diesen drei Zitaten wird für mich deutlich, Hermann Lange war durch und durch Mensch mit Glauben und Zweifel. Er brauchte die Zuwendung seiner Familie und Freunde. Er war nicht abgehoben und schwebte auch nicht einen halben Meter über dem Boden. Er stand fest auf dieser Erde. Er kannte Angst und Unsicherheit, Vertrauen und Verrat. Das alles hat ihn motiviert den Blick für das Unrecht nicht aufzugeben. Die Wahrheit zu sagen, ob gelegen oder ungelegen, gerade wenn es um das Wohl der Menschen ging. Er hat sich mit Unrecht und Unwahrheit nicht abgefunden, hat nicht weg geschaut und hat sich eingemischt und sich dazu auch bekannt. Er und seine Mitchristen zeigten Zivilcourage. Und in diesem Handeln fühlte Lange sich nicht allein. Sein Vertrauen setzte er auf Gott und auf die Menschen mit denen er diesen Glauben teilte.

Ein solches Vorbild, das für Unzählige damals steht, fordert uns bis heute heraus nicht teilnahmslos die alltägliche Realität einfach nur wahrzunehmen. Wir sind aufgerufen Ungerechtigkeit, Lebensbedrohung, Gewalt und sich selbst vergöttlichende Anmaßung beim Namen zu nennen, damit die Machtlosen und Ohnmächtigen eine Stimme haben. Hermann Lange fordert uns heraus, nicht nur Zuschauer zu bleiben und Mitläufer zu sein, sondern uns ganz einzusetzen für menschenwürdiges Leben und auf vielfältige Weise Zeichen zu setzen für ein anderes, größeres Leben, das kein Strang und kein Fallbeil töten können.

Durch sein Vorbild und aus der Erfahrung des Größeren können wir egoistische Kleinkariertheit überwinden und positive, konstruktive Widerstandskräfte entwickeln, zu einer Umkehr in die Solidarität – gegen alle Entsolidarisierung - hin zur Solidarität mit den Armen und durch die Maschen der Gesellschaft Gefallenen, hin zu einem den Menschen zugewandten Glauben. Und weil wir dies im Leben und Sterben des Hermann Lange und seinen befreundeten Geistlichen ablesen können sind sie für uns Zukunftsgestalten. Wir können heute mit ihrer mit Haltung Zukunft gestalten. Ihr Tod war nicht Scheitern, sondern er ist Zeuge dafür, dass die größerer Zukunft dort zu finden ist, wo Menschenwürde und gerechter Frieden lebt.

Die Kraft zu dieser Hoffnung entnahm Hermann Lange dem Neuen Testament. Zu einem Mitgefangenen sagte er einmal „Wenn die Gestapo wüsste, welch eine große Kraft und welchen Glauben ich aus den Worten der Heiligen Schrift empfange, so hätten sie mir bestimmt das Buch nicht bewilligt.

„Wenn man heute das kleine, abgegriffene, fast zerlesene Neue Testament von Hermann Lange in die Hand nimmt, sieht man viele unterstrichene Texte. Und auf den leeren Seiten findet sich folgende Eintragung von seiner Hand: „Dieses Buch war mir in schweren und schwersten Stunden Quell allen Trostes und aller Kraft. Meinen lieben Eltern in letzter Stunde als kleines Andenken geschenkt.“

Und dann folgt ein Gedicht:

„Ganz der Wille Gottes! Still die Seele spricht,
Grüßt mich beim Erwachen neu das Tageslicht,
Was an diesem Tage Geist und Hand begehn
Ganz der Wille Gottes mög’ durch mich geschehn.
Ganz der Wille Gottes! Spricht gar ernst der Mund,
Bringt der Tag, der neue, manche schwere Stund,
Muss ich statt auf Rosen hart auf Dornen gehen,
Ganz der Wille Gottes mag an mir geschehn.
Ganz der Wille Gottes! Bleibt auch ungestillt
manches heiße Sehnen, wird kein Wunsch erfüllt.
Soll ich arm an Freuden nun durchs Leben gehen.
Ganz der Wille Gottes soll an mir geschehn.
Ganz der Wille Gottes! Wird mir auch geraubt
manches Herzens Liebe, der ich treu geglaubt.
Ob die liebsten Freunde mich auch missverstehn.
Ganz der Wille Gottes mag auch da geschehn.
Ganz der Wille Gottes! Drückt der Krankheit Pein
Geist und Leib danieder, dass vor Weh ich wein.
Doch im Herzensgrunde bleibt als Trost mir stehn:
Ganz der Wille Gottes soll auch jetzt geschehn.
Ganz der Wille Gottes! Wenn der Tag sich neigt,
wenn die Lebens Sonne nur noch mattes Glänzen zeigt,
wenn sie tiefer sinkend, nah dem Untergehn:
Ganz der Wille Gottes soll auch dann geschehn.
Ganz der Wille Gottes! Ob nach kurzem Pfad,
ob nach langem Wandern diese Stunde naht,
Freunde oder Feinde mich dann sterben sehn:
Ganz der Wille Gottes soll auch da geschehn.“


[1] Hermann Josef Coenen, in: Meine Jakobsleiter. Meditationen. Patmos 1995.

 

Info


Elke Sieksmeyer predigte anlässlich der ökumenischen Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 2011 in St. Michael in Leer mit dem inhaltlichen Schwerpunkt „Hermann Lange“. Die Gemeindereferentin arbeitet als Urlauberseelsorgerin in der Katholischen Regionalstelle ‚Kirche an der Küste’ in Norden/Ostfriesland.